Sicherheit beginnt beim Entwurf

Bauliche Schutzmaßnahmen im Kontext des KRITIS-Dachgesetzes – Impulse für die Architekturpraxis

Mit dem im Aufbau befindlichen KRITIS-Dachgesetz verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, Betreiber Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) zur Umsetzung einheitlicher, wirksamer Schutzmaßnahmen zu verpflichten. Diese umfassen sowohl technische als auch organisatorische und bauliche Vorkehrungen zur Erhöhung der Resilienz gegenüber Bedrohungen – etwa durch Sabotage, Terror, Naturereignisse oder technische Ausfälle.

In der Diskussion um die „physische Sicherheit“ wird der Fokus häufig auf technische Systeme wie Videoüberwachung, Zutrittskontrollen oder Sensorik gelegt. Was dabei oft übersehen wird: Die Grundlage wirksamer Sicherheitsmaßnahmen wird bereits in der architektonischen Planung gelegt.

Dieser Bericht richtet sich an Architektinnen und Architekten, die öffentliche oder privatwirtschaftliche Bauten mit KRITIS-Relevanz entwerfen – insbesondere im Gesundheitswesen, in der Energie- und Wasserversorgung, Telekommunikation, IT oder Verwaltung. Er zeigt auf, wie bauliche Sicherheitsaspekte frühzeitig in die Entwurfsplanung integriert werden können, ohne gestalterische Qualität zu verlieren – im Gegenteil: Sicherheit kann architektonische Ausdruckskraft stärken.

Sicherheitsplanung beginnt im Grundriss – Beispiel Klinikum

Kliniken gehören zu den klassischen Einrichtungen Kritischer Infrastruktur: Sie sind Orte mit hoher Publikumsfrequenz, komplexen Abläufen und sensiblen Funktionsbereichen. Gleichzeitig müssen sie offen, zugänglich und vertrauensvoll wirken. Diese Anforderungen in Einklang zu bringen, erfordert sorgfältige bauliche und funktionale Überlegungen.

Ein Klinikum der Maximalversorgung besteht typischerweise aus mehreren Bereichen mit sehr unterschiedlichem Schutzbedarf:

  • öffentlich zugängliche Zonen (z. B. Foyer, Cafeteria, Ambulanzen),

  • halböffentliche Funktionsbereiche (z. B. Pflege, Diagnostik, OP),

  • interne Bereiche mit hohem Schutzbedarf (z. B. Rechenzentrum, Arzneimittellager, Intensivstationen, Notstromversorgung).

Architektonische Lösungsansätze:

  • Zonierung durch Grundrissstruktur: Klare funktionale Trennung von Bereichen mit hohem, mittlerem und geringem Schutzbedarf. Diese Trennung erfolgt nicht nur funktional, sondern auch baulich – etwa durch Schleusen, Sichtbarrieren oder kontrollierte Übergänge.

  • Gezielte Wegeführung: Durchdachte Leitsysteme, transparente Erschließungszonen und räumliche Engführungen sorgen dafür, dass Besucher intuitiv auf vorgegebenen Wegen bleiben. So kann ungewollter Zutritt zu gesicherten Bereichen reduziert werden – ohne Verbote oder sichtbare Barrieren.

  • Schutz sensibler Bereiche durch Lagewahl: Besonders kritische Einrichtungen werden nicht an Fassaden oder im Erdgeschoss platziert, sondern im baulichen Inneren, teils in gesonderten Brandabschnitten oder Geschossen. Dies erschwert Zugriffe von außen und schützt vor Vandalismus oder äußeren Einflüssen.

  • Reduktion von Zugängen: Zentralisierung der Zugänge auf wenige, kontrollierbare Punkte – z. B. ein Hauptzugang für Patienten und Besucher sowie ein separater Mitarbeiter- und Logistikzugang mit Zugangskontrollsystemen.

Diese Maßnahmen zeigen: Bauliche Struktur ist die erste Schutzschicht – Technik kommt ergänzend hinzu, nicht ersetzend.

Materialwahl und bauliche Widerstandsfähigkeit

Neben der Raumstruktur spielt die Auswahl der Materialien eine zentrale Rolle in der baulichen Sicherheitsplanung. Die Anforderungen an Widerstand, Standfestigkeit und Brandverhalten können je nach Nutzung stark variieren. Eine frühzeitige Abstimmung mit Sicherheitsfachplanern ist daher sinnvoll.

Zentrale Material- und Konstruktionsprinzipien:

  • Widerstandsklassen bei Türen und Fenstern: Mindestens RC3 gemäß DIN EN 1627 für Eingänge zu sensiblen Bereichen; höhere Klassen (RC4–RC6) in besonders kritischen Räumen.

  • Sicherheitsverglasung: Einsatz von Verbundsicherheitsglas mit Durchbruch- und Splitterschutz; optional mit zusätzlichen Beschichtungen gegen Einblick, Strahlung oder Feuer.

  • Baulicher Brandschutz: Trennwände in F90-Qualität, Rauch- und Wärmeabzugseinrichtungen, abgeschottete Installationskanäle – insbesondere in IT-Bereichen und Energiezentralen.

  • Explosionsschutz: In exponierten Lagen oder für besonders kritische Räume (z. B. Kommunikation, Energieverteilung) sind druckentlastende Konstruktionen, spezielle Befestigungen oder Rückhaltelemente denkbar.

  • Gebäudekern als Schutzzone: Tragwerkselemente, Kommunikationsknoten oder Treppenhäuser können durch ihre Lage und Materialität zu Schutzbereichen ausgebaut werden.

Diese baulichen Maßnahmen sind nicht nur aus sicherheitsstrategischer Sicht sinnvoll, sondern tragen auch zur Langlebigkeit, Wirtschaftlichkeit und Betriebssicherheit eines Gebäudes bei.

Gestaltung trifft Schutz – Architektur als Sicherheitsbotschaft

Sicherheit muss nicht nach Sicherheitsarchitektur aussehen. Im Gegenteil: Eine gute architektonische Umsetzung integriert Schutzmaßnahmen unauffällig in das Gesamtbild eines Gebäudes – ohne martialische Zäune, Poller oder Überwachungskameras.

Gestalterische Mittel zur Sicherheitsintegration:

  • Niveauunterschiede im Außenbereich (z. B. leicht erhöhte Sockelzonen) können als unsichtbare Barriere gegen Fahrzeugangriffe dienen.

  • Landschaftselemente wie Wasserflächen, Pflanzstreifen oder Gabionen bieten Sichtschutz und gleichzeitig physischen Schutz – bei hoher Aufenthaltsqualität.

  • Tageslichtnutzung und Transparenz an definierten Stellen verbessern das subjektive Sicherheitsgefühl und ermöglichen soziale Kontrolle, ohne zusätzliche Technik.

  • Innenarchitektonische Führungselemente – etwa durch Licht, Farben oder Materialien – helfen bei der intuitiven Orientierung und verhindern Fehltritte in sicherheitsrelevante Bereiche.

So wird Sicherheit nicht als Einschränkung, sondern als Teil des architektonischen Ausdrucks wahrgenommen – insbesondere bei öffentlichen Gebäuden mit hohem Gestaltungsanspruch.

Frühe Zusammenarbeit als Erfolgsfaktor

Sicherheitsplanung ist interdisziplinär. Nur durch die enge Zusammenarbeit zwischen Architektur, Sicherheitsberatung, Haustechnik, IT und Betreiberverantwortlichen entstehen Lösungen, die funktional, wirtschaftlich und nachhaltig wirksam sind.

Vorteile frühzeitiger Integration:

  • Sicherheitsanforderungen werden nicht zum Planungsstörfaktor, sondern integraler Bestandteil der Architektur.

  • Planungskosten sinken, da keine nachträglichen Anpassungen notwendig sind.

  • Behördliche Genehmigungsprozesse können schneller und reibungsloser verlaufen, da Sicherheitskonzepte früh dokumentiert und abgestimmt werden.

  • Architekturbüros gewinnen Fachprofilierung, indem sie Sicherheitsaspekte kompetent in ihre Planungsleistung integrieren.

Empfehlung: Sicherheitsfachplaner sollten spätestens ab Leistungsphase 2 (Vorplanung) einbezogen werden – idealerweise bereits zur Standortanalyse und Funktionskonzeption.

Regulatorischer Rahmen: Verantwortung und Chance

Das KRITIS-Dachgesetz schafft keine neuen Bauvorschriften im klassischen Sinne, wohl aber eine neue Verpflichtung für Betreiber: Sie müssen nachweislich geeignete physische Schutzmaßnahmen ergreifen, um die Funktionsfähigkeit ihrer Einrichtungen sicherzustellen.

Architekten sind in der Umsetzung dieser Maßnahmen Schlüsselakteure:

  • Ihre Planung entscheidet maßgeblich darüber, wie wirksam, wartungsarm und nachhaltig Sicherheitsmaßnahmen sind.

  • Sie gestalten die Schnittstelle zwischen öffentlichem Raum und geschütztem Innenbereich – also jene Zone, in der viele Sicherheitsvorfälle beginnen.

  • Sie übernehmen Verantwortung für ein Bauwerk, das nicht nur nutzbar, sondern auch schützenswert ist.

Das eröffnet zugleich Chancen für Innovation und Differenzierung: Architekturbüros, die Sicherheitsfragen frühzeitig, gestalterisch und lösungsorientiert bearbeiten, verschaffen sich einen Wettbewerbsvorteil – insbesondere bei öffentlichen Ausschreibungen und komplexen Infrastrukturprojekten.

Architektur schützt – wenn man sie lässt

Gebäude für Kritische Infrastrukturen stellen besondere Anforderungen – funktional, technisch, gesellschaftlich. Doch Sicherheit muss nicht im Widerspruch zur Gestaltung stehen. Im Gegenteil: Architektur kann schützen – durch Raumstruktur, Materialwahl, Bewegungsführung und Ausdruck.

Wer Sicherheit früh denkt, verhindert nicht nur spätere Konflikte, sondern schafft Gebäude, die auch in Krisenzeiten funktionieren. Das KRITIS-Dachgesetz gibt den Rahmen – Architektur gibt die Form.